Was sind Pfarrzwang, Stolzwang oder Stolgebühr?

Der Familienforscher sollte die Begriffe Pfarrzwang und Stolgebühr verstehen, weil er dadurch auf weitere Quellen aufmerksam gemacht wird, in denen er Kirchenbuch-Einträge zu Vorfahren finden kann, vor allem vor dem Jahr 1760. Die genannten Begriffe stammen aus dem frühmittelalterlichen Kirchenrecht, aber sie sind prinzipiell noch heute gültig.

Pfarrzwang

Zu einer Pfarrei gehören immer ein klar begrenztes räumliches Gebiet (Pfarrsprengel, Kirchspiel), die Pfarrkirche (ecclesia parochialis) und alle im Bereich der Pfarrei lebenden Menschen. Diese sind streng an ihren (Ort-)Pfarrer (parochus proprius) gebunden, der allein die geistlichen (kirchlichen oder gottesdienstlichen) Handlungen wie Taufe, Trauung, Beichte und Begräbnis, aber auch Segnungen usw. vornehmen darf. Dieses Recht des Pfarrers, das die Menschen seiner Pfarrei an ihn bindet, bezeichnet man als Pfarrzwang.

Der Pfarrer kann (und darf) bei triftigem Grund, meist gegen Zahlung einer Gebühr, auf den Pfarrzwang verzichten. Bei den Katholiken genießen die Geistlichen der religiösen Ordensgemeinschaften vielfach päpstlich privilegierte Sonderrechte, die den Pfarrzwang brechen – zum Ärger der Pfarrer und heute der Familienforscher.

Der Pfarrzwang begünstigt die Familienforscher schon dadurch, weil er dazu führte, dass in der Regel alle kirchlichen Handlungen nur am Wohnort eines Menschen erfolgten. Er war auch die längst vergessene Ursache dafür, dass normalerweise eine Braut an dem Wohnort der Brauteltern heiratete, weil meist die Braut nicht ehemündig war. Am Wohnort des Bräutigams und auch am Wohnort der Braut ohne eigenen Hausstand wurde die Heirat lediglich proklamiert, d.h. an drei Sonntagen öffentlich gemacht. Später wurde das auch ins "Preußischen Allgemeinen Landrecht", § 435 II 11 übernommen: "Die Trauung gebührt der Regel nach dem Pfarrer der Braut."

Luthers Reformation änderte nicht den Pfarrzwang! Allerdings führte sie dazu, dass im Bereich einer Pfarrei nun Menschen unterschiedlicher Konfession leben konnten. In einer katholischen Pfarrei unterlagen also z. B. auch die Protestanten dem Pfarrzwang des katholischen Pfarrers und in einer evangelischen Pfarrei unterlagen auch die Katholiken dem Pfarrzwang des evangelischen Ort-Pastors.

Dies sollte einem als Familienforscher stets bewußt sein, denn die geistlichen Handlungen findet man wegen des Pfarrzwanges – unabhängig von der Konfession einer Person – stets (auch) in den Kirchenbüchern der Ortspfarrei - in Preussen / Schlesien allerdings sicher nur vor 1758, siehe unten!

Stolzwang und Stolgebühr

Aus zunächst freiwilligen Spenden der Gemeindemitglieder, die in den Opferstock gegeben wurden und an dessen Inhalt der Pfarrer der Gemeinde gering partizipierte, entwickelten sich bereits im frühen Mittelalter Gebühren, die im Zusammenhang mit seelsorgerischen Leistungen (z.B. Taufe, Heirat, Begräbnis, Beichte etc.), bei denen der Geistliche die Stola trägt, und für damit zusammenhängenden Leistungen (Taufbescheinigung, Aufgebotsverkündigung, Entlassungsschreiben zur Heirat in einer anderen Gemeinde usw.), erhoben wurden: die Stolgebühren (Jura stolae).

Ausgenommen hiervon sind Kommunion bzw. Abendmahl, die Beichte und die Krankensalbung.

Die Stolgebühren waren einerseits unverzichtbarer Bestandteil des Lebensunterhalts der Geistlichen, andererseits aber sehr umstritten, vor allem, wenn ihre Zahlung zur Bedingung für die Spendung der Sakramente wurde (Simonie ! = Kauf oder Verkauf von geistlichen Gütern). Seit dem IV. Laterankonzil (1215) war es streng verboten, geistliche Handlungen von der Zahlung der Stolgebühren abhängig zu machen, die Erhebung einer Gebühr nach dieser Handlung war aber erlaubt. Damit mussten Mittellose nicht fürchten, dass ihnen ein Sakrament verwehrt würde. Dennoch kam es immer wieder zum Missbrauch.

Stolgebühren gab und gibt es sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche. In Deutschland sind sie heute in den evangelischen und katholischen Kirchen abgeschafft und durch feste Gehälter der Pfarrer ersetzt worden.

Beschränkung des Stolzwanges auf die eigene Konfession

Als Friedrich der Große Schlesien 1742 endgültig in Besitz genommen hatte, waren die evangelischen Schlesier vielfach enttäuscht, dass der (evangelische) König die bestehende kirchliche Ordnung nicht veränderte. Weiterhin bestand Pfarr- und Stolzwang, was für viele Evangelische bedeutete, dass sie weiterhin sowohl bei dem katholischen Pfarrer ihres Wohnortes wie auch bei dem evangelischen Pastor die Stolgebühr zu zahlen hatten.

Allerdings hatte das auch die für Familienforscher positive Folge, dass die evangelischen Amtshandlungen, auch wenn sie in einer evangelischen Kirche stattfanden, im katholischen Kirchenbuch des Ortspfarrers festgehalten wurden, - in Orten mit evangelischem Ortspastor auch umgekehrt.

Erst nach der glanzvoll von Friedrich gewonnenen, berühmtesten Schlacht des 7-jährigen Krieges, der Schlacht bei Leuthen, am 5. Dezember 1757 entschied der König, dass in Schlesien ab dem 1. Januar 1758 der Pfarrzwang und damit die Stolgebühr für den Ortspfarrer bzw. -pastor entfallen – nicht aber für den, der die Amtshandlung tatsächlich vornimmt.

Mit Schreiben vom 11. Januar 1758 wurde die Breslauschen Oberamtsregierung mit Kabinettsorder Breslau den 31. Dezember 1757 zu der Mitteilung an alle schlesischen Behörden aufgefordert, die sofortige Aufhebung der Stolgebühr durch Friedrich II. bekannt zu geben.

Für Genealogen wichtig zu wissen ist deshalb, dass bis mindestens Ende 1757 der katholische Pfarrer alle Taufen, Hochzeiten und Begräbnisse auch aller nicht katholischen Personen seiner Pfarrei in seinen Kirchenbüchern verzeichnen ließ. Das geschah allerdings bei Evangelischen oft ohne Angaben von Einzelheiten wie der Taufpaten und des taufenden Pastors. Weil aber der Pfarrzwang im (katholischen) “Kanonischen Recht” geregelt ist und dies für den katholischen Pfarrer weiterhin galt, wurden vielfach katholische Kirchenbücher auch noch nach 1757 so wie zuvor geführt – heute ein Glücksfall für Genealogen, weil für Schlesien sehr viele evangelische Kirchenbücher seit 1945 verschollen sind.

Fazit: Wer Vorfahren etwa vor 1760 in Kirchenbüchern sucht, sollte unbedingt auch die Kirchenbücher der (meist katholischen) Ortspfarrei auf die entsprechenden Eintragungen zu seinen Vorfahren prüfen.

Quelle: Verordnung König Friedrich II. an die schlesischen Behörden vom 11. Januar 1758 wegen der Befreiung von den Stolgebühren. Lt.: Sammlung der in dem souverainen Herzogthum Schlesien und dessen incorporirten Grafschaft Glatz in Finanz-, Justiz-, Criminal-, Geistlichen-, Consistorial-, Kirchen- Sachen etc. etc. publicirten Edicte, Patente, Ordnungen, Mandaten, Rescripten etc. welche unter ... Regierung Friedrichs, Koenigs in Preussen, als souverainen obersten Herzogs von Schlesien … , 1755 – 1760, Bd. 6; Breslau 1763, Nr. 168, S. 701/02. Zitiert nach: Benrath, Gustav Adolf: Quellenbuch zur Geschichte der evangelischen Kirche in Schlesien S. 223; München. Oldenbourg 1992,


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Letzte Erweiterung am 27. September 2011.   ©   Dr. Claus Christoph, Hemmingen