Die Einwohnerzahl Schlesiens steht in einer Wechselwirkung mit den politischen Entscheidungen über Schlesien sowie der daraus folgenden wirtschaftlichen, bis um das Jahr 1800 insbesondere landwirtschaftlichen Entwicklung. Deshalb soll hier die Bevölkerungsgeschichte Schlesiens ab 1250 bis 1939 kurz entwickelt und schließlich skizziert werden.





Herkunft der Daten

Einigermaßen gesicherte Daten über die Zahl der Einwohner für Schlesien in den Grenzen 1939 der preußischen Provinz liegen nur etwa ab 1600 vor. Für die Zeit davor ist man auf Schätzungen angewiesen. Diese können sich glücklicherweise auf zahlreiche Stichproben und Rückrechnungen stützen. Die Herkunft der Daten stelle ich jetzt dar, wobei sich die Angaben in den eckigen Klammern auf den Quellennachweis am Ende beziehen:

1939: im Mai 1939 hatte Schlesien 4.868.764 Einwohner (ohne Ostoberschlesien) [Weczerka, S. LXXXIX mit S. LXXXIII].
1919: 4.470.000 Einwohner Schlesiens, unter zusätzlicher Berücksichtigung der Geburten umgerechnet, aus [Christoph, Siegfried, S. 1].
1914: 4.550.000 Einwohner Schlesiens, hochgerechnet aus [Köllmann, Tabelle 24].
1874: 3.787.700 Einwohner Schlesiens [Köllmann, Tabelle 24]. Die Kriege unter Wilhelm I 1864 (dänischer), 1866 (österreichischer) und 1870/71 (französischer) hatten keinen darstellbaren Einfluß auf die Zahl der Einwohner Schlesiens.
1845: 3.027.017 Einwohner Schlesiens [Köllmann, Tabelle 24].
1816: 1.942.063 Einwohner Schlesiens [Köllmann, Tabelle 24]. Der starke Rückgang der Kindersterblichkeit kompensierte die Zahl der Toten durch die napoleonischen Kriege.
1763: Schlesien verlor im siebenjährigen Krieg 150.000 Menschen [Sommer, S. 95]. Das ist allerdings eine recht pauschale Angabe, die höchstwahr-scheinlich zu klein ist.
1700: Einwohnerzahl von Breslau um 1700 etwa 40.000 [Cipolla, S. 84].
1670: Einwohnerzahl Schlesiens 833.684 [Petry, S. 164].
1650: Der dreißigjährige Krieg kostete etwa 200.000 Menschen der Bevölkerung Schlesiens das Leben, rund ein Viertel des Vorkriegsbestandes. [Petry, S. 163]. Diese Bemerkung wird von Petry nicht begründet und ist wohl nur qualitativ gemeint, vgl. die folgende Tabelle bzw. das Diagramm.
1633: Von 30.000 Breslauern starben 1633 durch Seuchen 18.000 [Petry, S. 162].
1618: Einwohnerzahl von Breslau 1618 30.000 [Petry, S. 164].
1600: Einwohnerzahl von Schlesien etwa 900.000 [Petry, S. 139, allerdings ein Druckfehler, vgl. Petry, S. 163].
1500: Nach Cipolla, S. 81, ist im 16. Jahrhundert die - trotz der Hussitenkriege - vergleichbare Bevölkerung Polens um etwa 45 % angestiegen, d.h. die Bevölkerung Schlesiens um 1500 dürfte 900.000 : 1,45 = 620.000 Menschen betragen haben.
1380: Nach der großen Pestwelle: Die Bevölkerung war seit 1340 im Durchschnitt etwa um 40 % infolge mehrerer Pestepidemien geschrumpft, d.h. die Bevölkerung Schlesiens lag bei 0,6 * 530.000 = 320.000 Menschen [Cipolla, S. 42].
1370: 360.000 Einwohner in Schlesien zwischen 1364 und 1376 nach den Registern des Peterspfennigs [Aubin, S. 432].
1347-1351: In dieser Zeit vollzieht sich der wichtigste Einschnitt der Bevölkerungsgeschichte von 1100 bis 1750. Der Schwarze Tod beendete die Epoche des mittelalterlichen Landausbaus [Buchholz, S. 7].
1340: Vor der großen Pestperiode und deshalb nach Abschluß der engeren Ost-kolonisation: Nach Cipolla, S. 81, betrug die vergleichbare Bevölkerung Polens um 1500 etwa 3,5 Mill. Menschen gegenüber 3,0 Mill. [Cipolla, S. 21] im Jahr 1340. In Analogie dazu kann man grob schätzen, daß Schlesien um 1340 etwa 3,0 / 3,5 * 620.000 Menschen = 530.000 Einwohner hatte.
1250: Zu der Zahl der Einwohner Schlesiens um 1250 gibt es nur sehr unsichere Schätzungen. Nach Cipolla, S. 21 stieg zwischen dem Jahr 1000 und 1340 die Bevölkerung Deutschland-Skandinaviens etwa von 4 Mill. auf 11,5 Mill., also um 3,1 Promill je Jahr. Um 1250 dürfte danach die Bevölkerung Schlesiens ausgehend von der Einwohnerzahl um 1340 von 530.000 Menschen abzüglich etwa 20.000 Neusiedler (bei Berücksichtigung von deren Fruchtbarkeit), also 510.000 / 1,0031190 = 385.000 Menschen betragen haben. Bezieht man diese Zahl auf die Fläche Schlesiens gemäß Weczerka, S. LXXXIX von 37.000 km2, so kommt man für das Jahr 1250 zu 385.000 Menschen : 37.000 km2 = gut 10 Menschen / km2, was [Henning, Bd. 1, S. 116] entspricht.

Auf der Basis obiger Daten wurde ein Diagramm gezeichnet, in dem allerdings in der Vertikalen der Logarithmus der Einwohnerzahl dargestellt wurde. In einem solchen Diagramm kann die Wachstumsrate der Einwohnerzahl viel genauer beurteilt und grob falsche Einwohnerzahlen können deutlich erkannt werden. Die Ergebnisse, die aus den so überarbeiteten Rohdaten folgen, sind in den folgenden Tabellen zusammengestellt. Diese Zahlen unterscheiden sich von den Rohdaten nur unwesentlich und dies auch nur im Zeitraum von 1618 bis 1800.


Tabellen: Einwohnerzahl Schlesiens zwischen 1250 und 1939

Jahr 1250 1340 1370 1380 1500 1600 1618
Einwohnerzahl 385.000 530.000 360.000 320.000 620.000 900.000 950.000

Jahr 1650 1670 1700 1740 1763 1800 1816
Einwohnerzahl 770.000 830.000 930.000 1.075.000 925.000 1.500.000 1.942.000

Jahr 1845 1874 1914 1919 1939
Einwohnerzahl 3.027.000 3.790.000 4.550.000 4.470.000 4.870.000

Mittelalterliche Ostkolonisation und das germanische Blut der Schlesier

Die Zahl der deutschen Zuwanderer während des 13. Jahrhunderts aus den Gebieten westlich des Queis, d. h. während der Zeit der Ostkolonisation wird auf maximal 1,2 Menschen pro km2 geschätzt [Henning, Bd. 1, S. 118]. Das heißt für Schlesien 1,2 Menschen / km2 * 37.000 km2 = 45.000 Personen. Diese doch überraschend kleine Zahl erscheint durchaus plausibel, wenn man sie in Relation zu der Zahl der deutschen Auswanderer des 19. Jahrhunderts setzt. Auch wenn man die Zahl der deutsch besiedelten Dörfer (zu unterscheiden von denen, die zuvor vorhanden waren und damals auf deutsches Recht umgesetzt wurden) und neuen Städte mit deren mittlerer Einwohnerzahl multipliziert, kommt man zu der genannten Größenordnung. Bis zum Jahr 1250 dürften davon bereits etwa 10.000 zugezogen gewesen sein. Buchholz [Buchholz, S. 49] erwähnt ältere Schätzungen – ohne Angabe einer Quelle – nach denen die Zahl der Einwanderer – wohl im 13. und im 14. Jahrhundert - sogar 150.000 bis 180.000 betragen haben soll. Die Zahl von insgesamt etwa 90.000 Zuwanderern dürfte der Wahrheit allerdings wohl eher nahe kommen, denn wie oben bereits berichtet, beendete der Schwarze Tod (ab 1348 in Schlesien) die Epoche der mittelalterlichen Ostkolonisation [Buchholz, S. 7]. Wie groß war danach vor der Industrialisierung der Anteil des germanischen Blutes in Schlesien? Bezieht man die Zahl der deutschen Zuwanderer während des 13. und 14. Jahrhunderts auf die Zahl der in Schlesien zu dieser Zeit insgesamt lebenden Menschen, von denen der weit überwiegende Teil ja aus Slawen bestand, so errechnet sich der Prozentsatz des „germanischen Blutes“ der Schlesier zu etwa 90.000/530.000 = 17 Prozent. Das Ergebnis könnte man auch so ausdrücken: Im Jahr 1946 hat der polnische Staat eine Bevölkerung vertrieben, in deren Adern über 80% slawisches Blut floß!

Literatur-Hinweis: Konstantin Damroth: Die älteren Ortsnamen Schlesiens, ihre Entstehung und Bedeutung - mit einem Anhang über die schlesisch-polnischen Personennamen - Beiträge zur schlesischen Geschichte und Volkskunde, erschienen 1896 in Beuthen. Das Buch kann hier online gelesen werden, auch Download ist erlaubt.

Quellennachweis:
Aubin, Hermann: Geschichte Schlesiens. Bd. 1. 3. Aufl. 1961.
Buchholz, Ernst Wolfgang: Raum und Bevölkerung in der Weltgeschichte. - Bevölkerungs-Plötz - , Bd. 3: Vom Mittelalter zur Neuzeit. 3. Aufl. 1983.
Christoph, Siegfried: Krieg und Frieden von 1914 bis 1994. 1995.
Cipolla, Carlo: Bevölkerungsgeschichte Europas. 1971.
Henning, Friedrich-W.: Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland. Bd.1: 800 bis 1750. 2. Aufl. 1985
Henning, Friedrich-W.: Landwirtschaft und ländliche Gesellschaft in Deutschland. Bd.2: 1750 bis 1986. 2. Aufl. 1988
Köllmann, W.: Quellen zur Bevölkerungsstatistik Deutschlands 1815 - 1875. 1980
Petry, Ludwig: Geschichte Schlesiens. Bd. 2. 1. Aufl. 1973.
Sommer, Fedor: Die Geschichte Schlesiens. 1908
Weczerka, Hugo: Handbuch der historischen Stätten: Schlesien. 1977.



Letzte Änderung am 1. Juli 2012.   ©   Dr. Claus Christoph, Hemmingen